Die Akademisierung der Pflege hat viele Vorteile. Sie hilft bei der Professionalisierung des Pflegepersonals, stärkt damit ihre Kritik- und Handlungsfähigkeit und letztlich die individuelle Behandlung der Patient:innen. Angesichts des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels ist der Bereich Pflege dringend darauf angewiesen, jegliche Vorteile zu nutzen. Dennoch tut sich Deutschland mit der Akademisierung der Pflege schwer.
Nur 2,5% der Pflegeberufe verfügen über ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Laut Forderungen des Wirschaftsrates sollten es 20% sein, um die Qualität der Versorgung zu steigern.
International sind in vielen Ländern mindestens 10% der Pflegekräfte Akademiker, in Norwegen sogar 100%.
Dabei kann mittlerweile mit verschiedenen Ausbildungsmodellen eine Vielzahl von Qualifizierungsmöglichkeiten in der Pflege erreicht werden. So gibt es einerseits die 3-jährige generalistische Pflegeausbildung zur Pflegefachfrau oder - mann, es gibt eine einjährige Ausbildung zur Pflegeassistenz und es gibt ein Bachelor- oder Masterstudium, das auch dual neben dem Beruf absolviert werden kann.
Je komplexer die Qualifizierungsmöglichkeiten in der Pflege werden, desto komplexer werden auch die Kompetenzen, Aufgabenbereiche und Verantwortlichkeiten. Das bietet viele Chancen, aber auch Herausforderungen, die ein Krankenhaus oder eine Pflegeeinrichtung zu bewerkstelligen hat.
Kompetenzerweiterung durch Akademisierung
Durch ein Studium erwerben Pflegende zunächst vertiefte Kenntnisse in Bereichen wie klinischer Entscheidungsfindung, Wissenschaftsanwendung, Kommunikation, Ethik und Versorgungskoordination. Dies befähigt sie, komplexe Pflegesituationen fundierter zu analysieren, evidenzbasiert zu handeln und eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen – etwa in der Wundversorgung, Medikation oder Gesundheitsberatung.
Die evidenzbasierte Pflegepraxis (EBP) kann der Pflege so zu einer qualitätsgesicherten und patientenorientierten Kompetenz verhelfen. Denn Forschungsergebnisse werden direkt in die Entscheidungsfindung einbezogen und praktisch angewandt. Medi-Karriere spricht von 6 Schritten, die in der EBP wichtig sind und auch die abschließende Evaluation beinhalten. Die Erkenntnisse aus der Praxis sind somit für die Forschung wieder zugänglich.
Individualisierung und Qualitätssteigerung durch Akademisierung der Pflege
Was genau diese Kompetenzerweiterung in der Pflege für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen bedeutet, muss dennoch immer noch neu definiert werden. So hat die Robert Bosch Stiftung seit 2016 eine Initiative ergriffen, um die Vielzahl dieser Qualifizierungsmöglichkeiten in einem Qualifikationsmix für den Patienten oder die Patientin zusammenzuführen. Denn “angesichts des demografischen Wandels werden sämtliche qualifizierte Pflegefachpersonen gebraucht, um die Pflege grundsätzlich sicherzustellen".
Patient:innen werden so sehr individuell betrachtet und auch komplexe medizinische Problemstellungen können besser gelöst werden. Für Pflegefachkräfte ist die Frage, welchen Ausbildungsweg sie gehen, ebenfalls individuell zu betrachten. Denn ein Hochschulstudium bedeutet nicht unbedingt, dass Absolvent:innen der Studiengänge überwiegend in der akademischen Laufbahn verbleiben. Laut einer Studie (VAMOS) aus dem Jahr 2019 gehen 60% wieder zurück in die praktische Arbeit mit den Patient:innen. Es bedeutet auch nicht, dass sie nur theoretisches Wissen gewinnen. Denn es gibt vielfältige Kompetenzen, die Absolvent:innen der Studiengänge aufweisen, wie die Umfrage zeigt. Von der Durchführung klient:innenbezogener Maßnahmen bis zur Qualitätssicherung und interprofessionellen Zusammenarbeit sind die Kompetenzen der Absolvent:innen gut bis sehr gut erkennbar.
Schließlich folgen der Akademisierung und der daraus folgenden Kompetenzerweiterung auch ganz neue Berufsbilder. Advanced Nursing Practices (ANP) heißen beispielsweise Pflegefachkräfte, die durch ein Hochschulstudium auf bestimmte Bereiche spezialisiert sind. Dadurch können sie beispielsweise in der Palliativpflege oder Psychiatrie komplexe Pflegeprozesse leiten, Diagnosen erstellen und auch Medikation verabreichen.
Die Akademisierung steigert also eindeutig die Qualität der Pflege. Laut einer Studie aus dem Jahr 2019 in den Vereinigten Staaten sinkt sogar die Mortalitätsrate von Patient:innen, wenn prozentual mehr Pflegende einen Bachelor-Abschluss vorweisen können.
“Die Beobachtungsstudie um Harrison et al. mit der Beteiligung von 36 Krankenhäusern in vier amerikanischen Staaten kommt zu dem Schluss, dass Patient*innen nach einem Herzstillstand in Krankenhäusern, in denen 70 statt 40 Prozent der Pflegenden einen Bachelorabschluss vorweisen, eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, den Herzstillstand ohne neurologische Defizite zu überleben.”
Die Frage ist nur laut einem Pflege-Podcast, warum das so ist. Die Autor:innen fordern also verstärkte Forschung, um “Mit wissenschaftlichen Erkenntnissen die Praxis voran (zu) bringen."
Es sollte also weiter geforscht werden, wie sich die Akademisierung selbst in der Praxis besser integrieren lässt. Die Robert Bosch Stiftung setzt sich schon seit Jahren dafür ein. Mit 360° Pflege hat sie ein Förderprogramm für den Qualifikationsmix (s.o.) in der Pflege geschaffen. In der ersten Phase 2016-2018 haben Expert:innen dabei Konzepte erarbeitet, die daraufhin in Projekteinrichtungen erprobt wurden. Die Ergebnisse, Materialien und Fallbeispiele finden sich gut strukturiert auf der Website. Hier wird gezeigt, dass ein gezielter Qualifikationsmix die Pflegequalität steigern und die Attraktivität des Berufes erhöhen kann.
Wichtig für das Gelingen ist allerdings eine organisatorische und inhaltliche Auseinandersetzung. Was zu den Herausforderungen zählt, die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen bewältigen müssen.
Herausforderungen für die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen durch Akademisierung der Pflege
Um die Akademisierung der Pflege in den traditionellen Betrieb zu integrieren, müssen einige strukturelle Bedingungen geschaffen werden. Allen voran gilt es, Stellen für diese neuen Berufsprofile auszuschreiben. Sowohl für Bachelor- als auch für Master-Absolvent:innen der Pflegewissenschaft oder ANP sollte es Möglichkeiten geben, in der Praxis zu arbeiten. Damit können neue Karrierekonzepte geschaffen werden, die auch die Attraktivität des Unternehmens steigern. ANP an ein Krankenhaus oder eine Pflegeeinrichtung zu binden, bedeutet ihnen einerseits die Möglichkeit zu geben, mit Patient:innen zu arbeiten, andererseits die akademische Karriere weiter verfolgen zu können.
Die Aufgabenprofile für die akademisch ausgebildeten Pflegefachkräfte müssen dabei klar definiert werden. Sie sollten sich von den nicht-akademisierten Kolleg:innen unterscheiden, aber auch die Aufgaben der “klassischen” Krankenpflege an Patient:innen übernehmen, weil es sonst zu Frust auf beiden Seiten kommen könnte. Dazu kann organisatorisch ein Mentorenteam mit Rollenvorbildern eingesetzt werden. Die Ängste, die bei den unterschiedlich ausgebildeten Pflegefachkräften auftreten könnten - kurz gesagt: entweder nicht mehr oder noch nicht wichtig genug zu sein - sollten ernst genommen werden.
Dies erfordert von einem Unternehmen eine offene oder transformationale Führung wie schon an anderer Stelle beschrieben. Denn in Zeiten von Unsicherheit und Veränderungen gewohnter Ordnungen (VUCA-BANI) schafft diese Art der Unternehmensführung Vertrauen innerhalb der Belegschaft. Auch bei den 360° - Projekten der Robert-Bosch-Stiftung haben sich transformationale Führungsstile bewährt. Dabei wurden verschiedene Kommunikationswege schriftlich und mündlich, analog und digital, mit Meetings und persönlichen Gesprächen angewandt, um “den unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren mit ihren Positionen und Ansichten jeweils Wertschätzung entgegenzubringen.”, wie im Abschlussbericht des Förderprogramms steht. Einige Fallbeispiele sind hier zu finden.
Aber nicht nur innerhalb der Pflege bedarf es verstärkter Kommunikation wie hier beschrieben ist. Auch in Kontakt mit dem zum Teil hierarchisch geprägten ärztlichen Personal kann eine Mediation sinnvoll sein, um ihre Position nicht in Frage zu stellen. Die Akademisierung des Pflegepersonals sollte auf der anderen Seite auch von Ärzt:innen ernst genommen werden. Denn das kritische und systematische Denken, das Pflegefachkräfte im Studium lernen, ermöglicht ihnen in der Praxis auf Augenhöhe mit Ärzt:innen zu sprechen und ärztliche Aufgaben von Diagnose bis Medikation zu übernehmen. Auch für Ärzt:innen gilt es hier, sich an flache Hierarchien zu gewöhnen, um selbst entlastet zu werden. Es handelt sich dabei um einen Strukturwandel, der letztlich auch für Pflegende und damit für das Ansehen der Pflege attraktiv ist.
Finanzierung und nicht-monetäre Anreize
Denn je höher die Pflegenden angesehen werden und je mehr Kompetenz sie bekommen, desto mehr steigt auch das Ansehen und letztlich das Gehalt.
Dies führt zu der weiteren Herausforderung der Finanzierung sowohl des Studiums, als auch der neu geschaffenen Stellen. Während die Politik mit dem Pflegestudiumstärkungsgesetz (PflStudStG) Studierenden eine monatliche Ausbildungsvergütung zugesteht, sollten Leistungserbringer den finanziellen Aufwand gut planen. Dafür können sie auf erfahrene Personalberatungen zurückgreifen. Diese unterstützen auch bei der Planung der Stellen und der Rekrutierung von Bewerber:innen. Sogar bei Fragen der Einarbeitung und Unterstützung im Team kann eine Personalberatung hilfreich sein.
Schließlich gibt es noch eine Erkenntnis aus dem Projekt des Robert Bosch Institutes:
Der Anreiz, eine Stelle zu wählen, betrifft nicht nur die monetäre Vergütung, sondern auch die Attraktivität des Standortes durch verantwortungsvolle Aufgaben und Weiterbildungsmöglichkeiten.
Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen können also viel an Attraktivität gewinnen, wenn sie die strukturellen Weichen für eine Anerkennung und reibungslose Kommunikation mit akademisch geschultem Personal stellen.
Fazit
Die Akademisierung der Pflege bringt eine bedeutende Kompetenzerweiterung für Pflegefachpersonen mit sich. Neue Berufsfelder wie Advanced Nursing Practice schaffen Verantwortlichkeiten, die sonst eher den Ärzt:innen vorbehalten waren. Um diese Transformation in einem Krankenhaus oder einer Pflegeeinrichtung reibungslos zu etablieren, benötigt es eine große Dialogbereitschaft der beschäftigten Pflegefachkräfte und Ärzt:innen. Eine Unterstützung kann dabei ein Mentor oder eine Mentorin sein.
In jedem Fall sollte sich ein Unternehmen beraten lassen, damit diese Veränderung strukturell verankert und kulturell akzeptiert wird. Indem mit einer offenen Unternehmensführung flache Hierarchien etabliert werden, kann auch die Bindung der Mitarbeitenden gestärkt werden.
Im besten Fall kann die Akademisierung der Pflege eine Verbesserung der Versorgungsqualität und der Arbeitsbedingungen bewirken. Darüber hinaus werden in diesem Transformationsprozess auch Stellen für die dringend benötigte Digitalisierung möglich. Eine Zukunftsvision, die das Gesundheitswesen sehr bereichern und die dringend benötigten Fachkräfte mobilisieren kann. Ähnlich verhält es sich mit ausländischen Fachkräften, die möglicherweise auf eine selbstverständliche Akademisierung zurückgreifen und in Deutschland die möglichen Arbeitsplätze suchen.
Für diese Prozesse kann ein Unternehmen von der Expertise einer Personalberatung sehr profitieren. Denn sowohl in der Auswahl der Bewerber:innen als auch in der Schärfung der Arbeitsstellen kann auf ein großes Netzwerk und eine lange Erfahrung zurückgegriffen werden.